01.12.2016
Historisches
In der Geschichtswissenschaft spricht man von Gegenwartsgenetik, wenn man Parallelen zwischen historischen Ereignissen und der Gegenwart untersucht oder deren Auswirkungen auf die heutige Gesellschaft. „Geschichte wiederholt sich!“, sagt man ja, denn im Prinzip sind viele Geschichtliche Ereignisse sich ungemein ähnlich, obwohl sie teilweise viele hundert Jahre auseinander liegen und in scheinbar völlig anderen Zusammenhängen stehen. Durch diese Untersuchungen können Historiker aber auch aktuelle Trends analysieren und versuchen Vorhersagen zu machen, wohin sich unterschiedliche Gegebenheiten noch hin entwickeln können.
Viele Artikel haben sich schon mit Parallelen zwischen PEGIDA, AFD, NPD und dem Nationalsozialismus befasst, zum Beispiel der Höcke / Goebbels Vergleich im Monitor. Was ich aber bisher vermisse ist eine neutrale Betrachtung, die nicht von einer Meinung vorgeprägt ist. Das möchte ich hier einmal versuchen.
Zunächst einmal muss man sagen, dass Antisemitismus zwar immer noch ein Problem ist, aber nicht vergleichbar mit dem europaweit verbreiteten Antisemitismus der Zwanziger Jahre. Wenn man aber den Antisemitismus mit der heutigen Islamfeindlichkeit vergleicht findet man tatsächlich erschreckende Parallelen. Zum Beispiel werden islamischen Menschen ihre Menschenrechte verwehrt (Polen will nur christliche Flüchtlinge aufnehmen), oder man spricht von dem Versuch des Islam auf der ganzen Welt einen Islamischen Staat einzuführen, was zwar einige Fanatiker sagen, aber was eben nicht ein Ziel des Islam an sich ist – hier sehe ich Parallelen zu antisemitischen Verschwörungstheorien. Antiislamismus ist in der europäischen Gesellschaft nicht verpöhnt, er wird akzeptiert.
Die NSDAP hatte in den 1930ger Jahren also schon eine antisemitischen Stimmung in der Bevölkerung vorgefunden, auf die sie aufgebaut hat, die sie weiter geschürt hat. Heute finden Rechtspopulisten eine Antiislamische Stimmung vor, auf die genauso aufgebaut wird – die weiter angeheizt wird. Hier ist die Parallele also offensichtlich.
1938 brannten in ganz Deutschland die Synagogen und Besitztümer von Juden wurden geplündert. Das war staatlich organisiert, daher durfte auch die Feuerwehr nicht eingreifen, um die Brände zu löschen. Wenn heute ein Flüchtlingsheim brennt ist das also nur schwer vergleichbar. Was aber durchaus vergleichbar ist, ist die Reaktion der Bevölkerung. 1938 gab es zwar auch nur wenige „Täter“, also Menschen, die sich an den Brandstiftungen und den Gewalttaten gegen die Juden beteidigt haben, aber es gab sehr viele Menschen, die das befürwortet haben, die daneben standen und applaudiert haben. Diesen Applaus hören wir auch heute wieder an brennenden Flüchtlingsheimen – und das ist sehr wohl eine Parallele.
Auf der anderen Seite gab es in den Dreißiger Jahren keine so große Gegenbewegung wie heute. Dass so viele Freiwillige für Flüchtlinge spenden, sich an Bahnhöfen versammeln, um die Flüchtlinge mit dem Nötigsten zu versorgen, all das ist für mich in erster Linie ein Zeichen gegen Rechts. Hätten wir nicht eine so starke Rechte, die mit PEGIDA und AfD gegen Flüchtlinge hetzen, wäre diese Hilfsbereitschaft sicherlich deutlich geringer ausgefallen.
Betrachtet man zudem die Wahlergebnisse aus den Zwanziger Jahren (1928: Rechte Parteien lagen bei ca 20%, 1930: Rechte Parteien lagen bei ca. 25%) und vergleicht diese mit den aktuellen Umfragen (Rechte Parteien liegen zusammen knapp über 10%), ist die Situation sicherlich noch lange nicht so weit, wie sie es 3 Jahre vor der Machtübernahme war. Lediglich in Sachsen sind die Zahlen in etwa vergleichbar.
Eine letzte fehlende Parallele ist ein charismatischer Führer. Auch wenn wir es heute kaum nachvollziehen können, wenn wir uns Reden von Adolf Hitler anhören, so hat er damals den richtigen Ton getroffen und war so charismatisch, dass er die Rechte unter sich vereinen konnte. Der Aufstieg der NSDAP wäre ohne ihn nicht denkbar gewesen. Eine solche Person fehlt in der heutigen Deutschen Rechten und es hat sich schon immer gezeigt, dass sich Wahlverhalten eher an Personen als an Parteiprogrammen orientiert.
Fazit:
Ja, man kann viele Parallelen zwischen dem Ende der Weimarer Republik und den heutigen Zuständen finden und jede einzelne davon ist erschreckend und zeigt, dass unsere Werte und unsere Demokratie in Gefahr sind. Diesen Parallelen steht aber auch eine breite Gegenbewegung gegenüber, Menschen, die echte Nächstenliebe ausüben, Gegendemonstrationen zu Veranstaltungen der AfD oder PEGIDA, die die Teilnehmerzahlen der rechten Aufmärsche weit übertreffen, und vieles mehr. Nein, wir stehen nicht kurz vor einer erneuten Machtübernahme von Nationalsozialisten, aber zumindest in Teilen Deutschlands sind wir auf dem Weg dorthin. Wir dürfen also nicht schweigen, wir müssen unsere Werte verteidigen und daher möchte ich meinen Artikel mit einem Zitat aus der Rede des „großen Diktators“ von Charlie Chaplin beenden:
„Kameraden, im Namen der Demokratie, dafür lasst uns streiten!“ (die ganze Rede hier)