31.03.2013

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Soziale Marktwirtschaft – Haben wir die eigentlich?

by Tyree
Categories: Politik
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Theoretisch haben wir in Deutschland eine Soziale Marktwirtschaft, also ein Wirtschaftssystem, das irgendwo zwischen der freien Marktwirtschaft (wie in den USA) und der Planwirtschaft (wie in der ehemaligen Sowjetunion) steht. Aber wo genau steht sie denn eigentlich?

Aber wo genau stehen wir mit unserer Sozialen Marktwirtschaft eigentlich? Haben wir eine Planwirtschaft mit ein Wenig Privateigentum oder eine Freie Marktwirtschaft mit einigen sozialen Aspekten? Ich denke mal, wenn man Ludwig Erhard fragen würde, so hatte er schon beabsichtigt, dass die soziale Marktwirtschaft in etwa in der Mitte zwischen den Systemen liegen sollte, also einen echten Kompromiss darstellen sollte.

Es gab viele staatliche Unternehmen, wie die Post oder die Bahn, viele Pflichten für die Bürger, wie Sozialabgaben und hohe Steuern. Märkte waren streng reglementiert und Banken streng überwacht. Der Wirtschaft wurden einige Mittel an die Hand gegeben, um sozial zu handeln, zum Beispiel die zuletzt viel gelobte Kurzarbeit. Aber das waren nur Gesetze und diese müssen von den entsprechenden Leuten erst einmal angenommen werden – und das wurden sie.

Ich kann zwar nicht viel zu der Steuer- und Abgabenmoral damals sagen, das sollen Sozialhistoriker tun, aber aus Erzählungen von meinen Eltern und Großeltern kann ich etwas zur Unternehmenskultur damals sagen. Wenn man früher einen Mitarbeiter eingestellt hat, dann hatte man die Absicht diesen auch für lange Zeit zu beschäftigen. Selbst Unternehmen, die extrem Saisonabhängig sind, wie die Baubranche, haben damals von Saison zu Saison mit den gleichen Mitarbeitern geplant, obwohl diese über den Winter nicht beschäftigt waren. Große Unternehmen haben ihren Mitarbeitern sogar günstigen Wohnraum in Firmeneigenen Siedlungen zur Verfügung gestellt – Immobilien waren damals noch eine begehrte Geldanlage für Unternehmen und so hat man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Aber auch die Mitarbeiter haben sich festgelegt. Sie fühlten sich ihrem Arbeitgeber zumeist loyal ergeben und haben so oft auch weit mehr getan, als im Arbeitsvertrag gefordert war. Die Größe eines Unternehmens wurde damals in der Anzahl ihrer Mitarbeiter gemessen. Emanzipation war noch in weiter Ferne, aber ein Arbeiter war in der Lage eine mehrköpfige Familie zu ernähren und sogar noch gelegentlich in den Urlaub zu fahren.

Vergleicht man das mit der heutigen Situation kann man eigentlich nicht mehr davon reden, dass wir noch eine Soziale Marktwirtschaft haben. Niemand zahlt gerne Steuern, die Sozialabgaben werden alslästig empfunden und man versucht sie zu vermeiden. Das geht rechtlich heute auch schon sehr früh. Mitarbeiter werden heute als reine Vertragspartner betrachtet, meist beruht das auf Gegenseitigkeit. Saisonarbeiten werden per Hire-And-Fire über Zeitarbeit geregelt. Mitarbeiter wohnen zumeist weit vom Arbeitsplatz weg, da eine gute Anbindung der Mitarbeiter kein Kriterium mehr für eine Standortwahl ist. Firmen werden nach ihrem Börsenwert bewertet und da ist es vorteilhafter weniger Mitarbeiter zu haben. Dass ein Arbeiter heute eine Mehrköpfige Familie ohne staatliche Zuschüsse ernähren kann ist auch eher unwahrscheinlich, an Urlaub ist da gar nicht zu denken.

Außerdem sind viele staatlichen Unternehmen inzwischen privatisiert. Das mag in vielen Fällen zwar sinnvoll sein, aber die negativen Auswirkungen einer übereifrigen Privatisierung kann man in Städten wie Köln gerade gut sehen, wo die Mieten explodieren und ehemals landeseigene Sozialbauten heute bei horenden Mieten langsam verwahrlosen. Märkte werden dereguliert, Banken weniger überwacht.

Es mag also sein, dass wir nach der Meinung Vieler noch immer eine Soziale Marktwirtschaft haben, weil wir eben noch keine amerikanischen Zustände haben, aber die Soziale Marktwirtschaft der Sechziger Jahre haben wir ganz sicher auch nicht mehr.